Auspulsieren der Nabelschnur im Falle einer Beatmung oder Reanimation
Aug 18, 2025
m Anschluss an meinen Artikel zum Auspulsieren der Nabelschnur möchte ich mich hier noch einmal dem Auspulsieren der Nabelschnur in einem ganz besonderen Moment widmen und damit einer ganz wichtigen Frage: Kann bzw. sollte die Nabelschnur auspulsieren, falls das Baby reanimiert bzw. beatmet werden muss?
Für eine generelle Darstellung der Vor- und Nachteile des Auspulsierens lest bitte meinen Artikel: “Auspulsieren der Nabelschnur-wie wichtig ist es wirklich?”
Das Auspulsieren der Nabelschnur im Falle einer Reanimierung ist ein noch wenig erforschtes, ein noch weniger praktiziertes Gebiet und zudem ein sehr umstrittenes Gebiet. Es gibt nur sehr wenige Studien, die das die Vor- oder Nachteile des späten Abnabelns bei reanimationspflichtigen Neugeborenen untersuchen, da diese meist von den Studien ausgeschlossen wurden. Auch in den Leitlinien werden auch keine klaren Empfehlungen bezüglich des idealen Zeitpunkts des Abnabelns im Falle einer respiratorischen Stabilisierung bei noch erhaltener Blutzirkulation über die Plazenta durch die Nabelschnur gegeben. Allerdings ist das in Studien von Tieren sehr viel besser untersucht und kann hier einen Anhaltspunkt bieten.
Eine relativ neue Studie von 2019 (Kearney et al. 2019) hat gezeigt, dass bei Babys, bei denen Sorgen um ihr Allgemeinwohl nach der Geburt bestehen und, bei denen entweder eine Blutgasanalyse durchgeführt (13,4%) oder eine Wiederbelebung veranlasst wird (15.7%), die Nabelschnur meist vorzeitig durchtrennt wird. Dieses Vorgehen ist Routine.
In diesem Artikel möchte ich mithilfe neuester Studien darstellen, ob das denn Sinn ergibt bzw., ob das Auspulsieren der Nabelschnur nicht eventuell sogar hilfreich ist.
Physiologie des Auspulsierens
Die Plazenta und das mit ihr verbundene Baby haben ein separates Blutkreislaufsystem zur Mutter. Hierbei übernimmt die Plazenta die Aufgaben der Lunge, indem sie Sauerstoff und Kohlendioxid zwischen dem Blutsystem der Mutter und dem des Babys transportiert. Vor der Geburt befindet sich ein Drittel des Blutvolumens der Baby/Plazenta Dyade, um diesen Austausch zu gewährleisten, d. h. aufgrund des Gefäßwiderstand fließen nur 10% des rechtsventrikulären kardialen Outputs bis zur Geburt zur Lunge. Nach der Geburt wird das Blut der Plazenta durch das Pulsieren der Nabelschnur zum Baby hin transportiert.
Dieser Transfer findet Schrittweise statt. Mit jeder Kontraktion und jedem Pulsieren fließt etwas mehr Blut zum Baby hin. Zwischen den Kontraktionen fließt wieder etwas Blut zur Plazenta zurück und wird dann mit dem nächsten Schub zum Baby hintransportiert. Dieser Transport gewährleistet extra Blutvolumen, dass es dem Herzen möglich macht 50% seines Outputs und die Lungen zu richten (vor der Geburt liegt das bei 8%). Dieses zusätzliche Blut füllt die Kapillaren in den Lungen, ermöglicht es den Alveolen sich zu öffnen, Flüssigkeit aus den Alveolen zu beseitigen und erlaubt es so dem Baby effektiv zu atmen. Gleichzeitig erhöht es die Anzahl der roten Blutkörperchen und ermöglicht so einen effektiven Transport von Sauerstoff im Körper. Dadurch wird der Körper optimal beim Etablieren der Atem- und Kreislauffunktionen (Mercer und Erickson- Owens 2010).
Bei einer sofortigen Abnabelung und unvollständig eröffneter Lungenstrombahn kann dies zu Sauerstoffmangel im Blut (Hypoxämie) des Säuglings mit darauf folgendem verlangsamten Herzschlags (Bradykardie) aufgrund der Verminderung des linksventrikulären Outputs führen. (Mehr dazu in meinem Artikel “Auspulsieren der Nabelschnur-wie wichtig ist es wirklich?”).
Die WHO schreibt zum Auspulsieren der Nabelschnur: “if the clinician has experience in providing effective positive-pressure ventilation without cutting the cord, ventilation can be initiated at the perineum with the cord intact to allow for delayed cord clamping.”. Leider widerspricht sich die WHO in the Leitlinien zur Reanimierung und Beatmung eines Neugeborenen. Darin steht “the cord should be clamped and cut to allow effective ventilation to be performed.” (leider sind die Dokumente nur auf Englisch erhältlich).
Die aktuellen Leitlinien äußern sich zu diesem Thema nicht explizit (bitte verbessert mich, falls ihr da anderes wisst oder entdeckt habt).
Das Prinzip der Atemstabilisierung, bei noch erhaltener Blutzirkulation über die Plazenta, mit all ihren Vorteilen erscheint sinnvoll, sowohl bei Frühgeborenen als auch bei Babys mit sogenannten Anpassungsstörungen. In Untersuchungen mit Tieren ist dieser Bereich relativ gut erforscht, bei Menschen allerdings noch nicht. Da es, wie in vielen Studien bewiesen zu einem Sauerstoffmangel des arteriellen Blutes (Hypoxämie) mit darauffolgender verminderter Herzschlagfrequenz (Bradykardie) (dazu lest ihr wieder mehr in meinem vorangegangen Artikel zur Nabelschnur) kommen kann, könnte ein späteres Abnabeln mit vollständigem Auspulsieren der Nabelschnur, einen sanfteren und stabileren Übergang für das Neugeboren bedeuten. Das Baby bekommt somit weiter über die Plazenta den dringend benötigten Sauerstoff, alle lebensnotwendigen Organe können sich voll entfalten, während die Lungenbelüftung durch die Ärzte schonende und ohne Zeitdruck erfolgen kann (Bhatt et al., 2013; Blank et al., 2018).
Eine Studie von 2019 (Andersson et al., 2019) zeigte, dass bei Babys deren Nabelschnur bei einer Reanimierung bzw. Beatmung nicht durchtrennt wurde, die Apgar-Werte wesentlich besser waren und Babys insgesamt höhere Sauerstoffwerte im Blut nachwiesen, gegenüber einer Vergleichsgruppe von Babys, deren Nabelschnur sofort durchtrennt wurde. Außerdem zeigten sich dabei keinerlei Nebeneffekte des Nicht-Durchtrennens(Andersson et al., 2019).
Das Problem des Equipments
Um eine mehr Mutter-und-Baby zentrierte Erstversorgung und eine Nichtdurchtrennung der Nabelschnur im Falle einer Reanimation oder Beatmung zu gewährleisten, müsste sich auch etwas am vorhandenen Equipment bzw. der Position des Equipments etwas ändern. Oft sind diese an der Wand fixiert und nicht mobil. Es müsste speziell konstruierte Erstversorgungsplätze, die eine Stabilisierung des Kindes direkt neben der Mutter ermöglichen geben. Diese gibt es auch, sind jedoch noch nicht überall in allen Krankenhäusern vorhanden.
Dazu eine Beispielstudie aus den Niederlanden, die eben solch einen Erstversorgungsplatz bzw. entsprechendes Gerät verwenden.
Studie: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30282674/
Blutgasanalyse
Die Blutgasanalyse wird meistens dann durchgeführt, wenn das Baby Anzeichen von Stress zeigt bzw. die Geburt selbst Stress für das Baby bedeutet haben könnte. In machen Krankenhäusern ist es Routine auch, wenn das Baby keinerlei Anzeichen von Stress zeigen sollte. Dabei wird eine kleine Probe des Nabelschnurblutes genommen, um den pH-Wert und andere Werte zu messen, um wiederum zu erkennen, ob das Baby war oder ist. Das Durchtrennen der Nabelschnur ist dabei nicht nötig auch wenn dies vielerorts Routine ist (Thomasso et al., 2014).
Um mehr wissenschaftliche Evidenz zu erhalten sind hier unbedingt mehr Studien zu diesem Thema nötig. Und dennoch, es scheint, als ob die Plazenta, die Nabelschnur und ihr Blut ein zum essenziellen Reanimierungsequipment dazu gehören sollte (Hebamme Rachel Reed) und die aktuelle Handhabung überdacht werden sollte.
Hinweise: Dies und andere Informationen in diesem Blog und auf dieser Website dienen nicht der medizinischen Beratung, noch ist dies eine persönliche Betreuung oder Beratung in Gesundheitsfragen. Solche sollten immer durch entsprechende Personen geleistet werden. Die Hinweise dieses Blogs sind kein Ersatz für medizinischen Rat. Im Zweifelsfall befragen Sie bitte Ihre Hebamme, GynäkologIn, Arzt/Ärztin oder ApothekerIn. Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr.
Weitere Informationen
Im Anhang findet ihr drei Youtube-Videos von Geburten, bei denen die Mutter ihr Baby selbst reanimiert, das Baby von Hebammen reanimiert wird bzw. das Baby von selbst zu sich kommt, nach dem es einige Minuten mehr Zeit braucht sich an seine Umgebung zu gewöhnen.
https://www.youtube.com/watch?v=Zgb7AL7kFbg
https://www.youtube.com/watch?v=CRUypStm2pE
https://www.youtube.com/watch?v=a3ANtPxI3pE
Interview mit Judith Mercer, Expertin in Sachen Auspulsieren der Nabelschnur
https://academicobgyn.com/2011/02/26/academic-obgyn-podcast-episode-31-delayed-cord-clamping/
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-0953-4640#N68179
Quellennachweis
Andersson, O. et al., 2019. Intact cord resuscitation versus early cord clamping in the treatment of depressed newborn infants during the first 10 minutes of birth - a randomised clinical trial. Maternal Health, Neonatalogy and Perinatology 5(5).
Bhatt S, Alison BJ, Wallace EM. et al. Delaying cord clamping until ventilation onset improves cardiovascular function at birth in preterm lambs. J Physiol 2013; 591: 2113-2126
Blank DA, Polglase GR, Kluckow M. et al. Haemodynamic effects of umbilical cord milking in premature sheep during the neonatal transition. Archives of Disease in Childhood – Fetal and Neonatal Edition 2018; 103: F539-F546
Kearney, L. et al. 2019. Third stage of labour management practices: A secondary analysis of a prospective cohort study of Australian women and their associated outcomes. Midwifery 75.
Mercer, J. and Erickson- Owens, 2010. Evidence for neonatal transition and the first hour of life.” In Essential Midwifery Practice: Intrapartum Care, edited by D Walsh and S Downe, 81-104. Chichester, UK: Wiley.
Thomasso, M. et al., 2014. Blood gas values in clamped and unclamped umbilical cord at birth. Early Human Development 90(9).
*Ich bin keine Hebamme/Gynäkologin/Ärztin. Das Auspulsieren der Nabelschnur bzw. deine persönlichen Wünsche in bestimmten solltest du unbedingt mit deiner Hebamme/Arzt besprechen.