Mekonium - Variation von Normal oder Komplikation?
Aug 18, 2025
Interventionen, die auf das Feststellen von Mekonium im Fruchtwasser folgen, verursachen eher Komplikationen als das Mekonium selbst.
Wird während der Wehen Mekonium im Fruchtwasser festgestellt, löst dies oft eine Kaskade von Interventionen aus. Zur Überwachung des Babys wird der Frau ein CTG-Gerät angelegt, was ihre Bewegungsfähigkeit einschränkt und das Risiko eines Kaiserschnitts oder einer instrumentellen Entbindung erhöht. Ein intensiverer Zeitdruck, die Geburt schnellstmöglich zu Ende zu bringen, kann entstehen, was zu einer Geburtseinleitung oder zumindest zu einer höheren Wahrscheinlichkeit dieser führt, was wiederum das Risiko einer fetalen Belastung und bei Erstgebärenden eines Kaiserschnitts erhöht. Es kann zu einer Absaugung der Atemwege des Babys kommen, was unter der Geburt u. U. zu einer vasovagalen Reaktion (Verlangsamung der Herzfrequenz) und Stillschwierigkeiten führen kann. Nach der Geburt wird das Baby wahrscheinlich vorzeitig abgenabelt werden und einem Kinderarzt übergeben, der möglicherweise auch die Atemwege des Babys absaugt. In den ersten 24 Stunden nach der Geburt wird das Baby regelmäßig überwacht, um Temperatur, Atmung und Herzfrequenz zu messen. In manchen Krankenhäusern wird das Baby zur Beobachtung von der Mutter getrennt. Auch der Kriterienkatalog für eine Geburt im häuslichen Umfeld des GKV-Spitzenverbandes, dem die Hausgeburtshebammen unterstehen. Deswegen kommt es bei Hausgeburten oft auch zu einer Verlegung ins Krankenhaus.
Das ist viel Aufwand, viel Stress, viele Interventionen, die zu weiteren Interventionen führen? Ist das wirklich notwendig?
Im Folgenden möchte ich genau das erforschen. Worum geht es hier eigentlich? Wie hoch ist das Risiko tatsächlich? Und bedeutet Mekonium automatisch, dass es dem Baby nicht gut geht?
Fakten zum Mekonium
Mekonium ist eine Mischung aus hauptsächlich Wasser (70–80 %) und einer Reihe weiterer Bestandteile, u. a. Fruchtwasser, Darmepithelzellen und Lanugo, den kleinen feinen Haaren, mit denen das Baby im Bauch der Mutter bedeckt ist. Etwa 15–20 % der Babys werden mit Mekonium im Fruchtwasser geboren. Nach der 40. Woche steigt diese Zahl auf 30-40%.
Es gibt (theoretisch) fünf Gründe dafür, dass ein Baby vor der Geburt seinen Darm entleert:
1. Das Verdauungssystem ist ausgereift und der Darm hat mit der Arbeit begonnen, d. h., die Darmperistaltik funktioniert und hat begonnen. Dies ist der häufigste Grund – 15–20 % der termingerecht geborenen und 30–40 % der übertragenen Babys haben bereits vor der Geburt Mekonium ausgeschieden.
2. Die Nabelschnur oder der Kopf werden während der Wehen komprimiert, d. h., es handelt sich um eine vagal vermittelte gastrointestinale Peristaltik. Dies ist eine normale physiologische Reaktion und kann ohne fetale Belastung auftreten. Dies könnte der Grund dafür sein, dass viele Babys Mekonium genau dann ausscheiden, wenn ihr Kopf in den letzten Minuten der Geburt komprimiert wird. Oft erkennbar durch Mekonium am Kopf.
3. Liegt das Baby in Steißlage, also Beckenendlage (BEL), wird durch die Kompression des Bauches beim Durchtritt des Pos, durch die Vagina in der Regel Mekonium herausgedrückt. Bei einer BEL gehört das zur Physiologie der Geburt dazu und ist zu erwarten. Es ist kein Grund zur Sorge.
4. Bei Schwangerschaftscholestase, einem gestörten intrahepatischen Gallenabfluss während der Schwangerschaft, kann das Baby dünnes Mekonium ausscheiden. Dies kann auf die durch Gallensäuren verstärkte Flüssigkeitsbewegung im Darm des Babys zurückzuführen sein.
5. Fetaler Stress führt zu Hypoxie, einer Unterversorgung des Babys mit Sauerstoff. Der genaue Zusammenhang zwischen fetalem Stress und mekoniumhaltigem Fruchtwasser ist jedoch unklar. Die Theorie besagt, dass der Sauerstoffmangel den Analschließmuskel entspannt und die Magen-Darm-Peristaltik erhöht. Fetaler Stress kann jedoch auch ohne Mekonium vorkommen, und Mekonium kann ohne fetalen Stress vorkommen.
Bei all diesen Punkten handelt es sich um Theorien und keiner der Punkte konnte bisher eindeutig bewiesen werden. Punkt 5, dass der Sauerstoffmangel und der Stress des Babys zum Ausscheiden von Mekonium führen und dass es daher eine Indikation dafür ist, konnte in Tierversuchen tatsächlich nicht bewiesen werden. Es gibt auch noch andere Theorien über Mekonium in der Schwangerschaft – dass das Baby z. B. kontinuierlich Mekonium ausscheidet und entleert. Mekonium allein kann also nicht als Hinweis auf eine fetale Notlage herangezogen werden. Eine abnormale Herzfrequenz ist hier ein besserer Indikator, und eine abnormale Herzfrequenz in Kombination mit Mekonium kann ein noch deutlicherer Hinweis darauf sein, dass das Baby in Schwierigkeiten sein könnte. Dabei sollte auch die Konsistenz des Mekoniums in Betracht gezogen werden: Dickes Mekonium im Gegensatz zu dünnem Mekonium ist eher mit Komplikationen verbunden als umgekehrt.
Zusammenfassend ist es wichtig, zu bedenken:
Die meisten Babys, die in einem schlechten Zustand geboren werden, haben kein mekoniumhaltiges Fruchtwasser.
Die meisten Babys mit mekoniumhaltigem Fruchtwasser kommen in gutem Zustand zur Welt.
Und dennoch wird hier leider oft nicht differenziert gehandelt. Sobald Mekonium festgestellt wurde, werden Babys so behandelt, als befänden sie sich in unmittelbarer Gefahr, ohne dass eine weitere medizinische Indikation vorhanden oder in Betracht gezogen worden ist. Vermutlich liegt das daran, dass es eine große Angst vor dem sogenannten Mekoniumaspirationssyndrom (MAS) gibt und man dies natürlich vermeiden möchte.
Aber was ist Mekoniumaspirationssyndrom (MAS) überhaupt?
Wenn Mekonium im Fruchtwasser auftritt, ist das die Hauptsorge. Generell ist es eine extrem seltene Komplikation. Und dennoch ist es eine Komplikation, die man als Gebärende eventuell navigieren muss und über die man sich informieren kann, so dass man selbstbestimmte Entscheidungen für sich und das Baby treffen kann. MAS betrifft etwa 2–5 % der 15–20 % der Babys mit mekoniumhaltigem Fruchtwasser. Von diesen 2–5 % der 15–20 % sterben 3–5 %. Anders ausgedrückt: Wenn Mekonium im Fruchtwasser auftritt, besteht eine Wahrscheinlichkeit von 0,06 % (1:1667), an MAS zu sterben. Dieses Risiko schwankt je nach individuellen Umständen, z. B. Frühgeburt, angeborenen Anomalien, zusätzlichen Geburtskomplikationen usw. Hierbei ist auch zu beachten, dass diese Zahlen und Studien auf klinischen Geburten und deren Ergebnissen beruhen, die u. U. das Auftreten von Komplikationen und Interventionen begünstigen können. MAS ist grundsätzlich also sehr selten, kann aber tödlich sein.
MAS tritt auf, wenn das Baby während der Wehen, der Geburt oder unmittelbar nach der Geburt mekoniumhaltiges Fruchtwasser einatmet. Babys machen während der Schwangerschaft flache Atembewegungen. Die Atembewegungen verlangsamen sich vor der Geburt als Reaktion auf die Ausschüttung von Prostaglandinen. Damit ein Baby im Mutterleib also überhaupt nach Luft schnappt, muss es im Vorhinein also schon an extremem Sauerstoffmangel leiden. Dies geschieht wahrscheinlich nicht, ohne dass jemand bemerkt, dass das Baby in Schwierigkeiten ist, z. B. durch eine abnormale fetale Herzfrequenz und einen abnormalen Geburtsverlauf (z. B. durch eingeleitete Wehen, Medikamente, Rückenlage und andere Interventionen). Man sollte also unbedingt darauf achten, dass Dinge vermieden werden, die u. U. zu einem Sauerstoffmangel des Babys führen könnten. Natürlich kann dies wahrscheinlich nicht immer vermieden werden, da dies auch bei einer physiologischen Geburt auftreten kann, und dennoch gibt es Dinge, die man minimieren und vermeiden kann, damit dieses Risiko verringert wird.
Ein Baby kann seinen aeroben Stoffwechsel aufrechterhalten, bis der Sauerstoffgehalt an der plazentaren Blutaustauschstelle um 50 % unter den Normalwert sinkt. Das Baby durchläuft dann eine Reihe physiologischer Kompensationsreaktionen. Wenn sich der Sauerstoffgehalt nicht verbessert oder sogar verschlechtert, kommt es zu Hypoxämie, Hypoxie (Sauerstoffunterversorgung), anaerobem Stoffwechsel, metabolischer Azidose (Übersäuerung) und Asphyxie (Sauerstoffmangel). Anschließend wird es bewusstlos, woraufhin sein limbisches System nach Luft schnappt, um Sauerstoff zu bekommen.
Mekonium in der Lunge kann Atemprobleme verursachen und das Infektionsrisiko erhöhen. Bei 3–5 % dieser Babys kann dies zum Tod führen. Es ist jedoch weiterhin wichtig, zu bedenken, dass neben dem MAS häufig auch andere Probleme auftreten, z. B. Frühgeburt oder fetale Wachstumsverzögerung. Mekonium allein stellt daher nicht unbedingt ein Problem dar.
Interventionen bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser
Man sollte meinen, dass, wenn ein Baby (aus welchem Grund auch immer) Mekonium ausgeschieden hat, es sinnvoll wäre, Bedingungen zu schaffen, die das Risiko einer Asphyxie und MAS generell minimieren. Gängige Vorgehensweisen der Geburtshilfe sind jedoch Maßnahmen, die bekanntermaßen Hypoxie verursachen. Beispiele dafür:
Wehentropf (synthetisches Oxytocin) zur Geburtseinleitung oder zur Verstärkung der Wehen, wenn die Fruchtblase geplatzt ist (bei vorhandenem Mekonium) und keine Wehen einsetzen oder die Wehen „langsam“ verlaufen, um das Baby schnell aus der Gebärmutter zu bekommen.
Manuelles Öffnen der Fruchtblase (Amniotomie), um festzustellen, ob sich Mekonium im Fruchtwasser befindet, wenn Bedenken hinsichtlich der fetalen Herzfrequenz bestehen.
Angeleitetes Pressen, um die Geburt zu beschleunigen.
Zusätzliches Personal (fremde Personen generell), helles Licht und medizinische (Wiederbelebungs)geräte im Kreißsaal können die Mutter stressen und die Oxytocinausschüttung verringern.
Vorzeitiges Durchtrennen der Nabelschnur, bevor sie auspolstert ist und bevor die physiologische Geburt der Plazenta stattfinden konnte. Das Auspulsieren unterstützt den Übergang zur Atmung und sollte stattfinden können, bevor das Baby weiteren Untersuchungen unterzogen wird.
Absaugen der Atemwege des Babys
Die Leitlinie empfiehlt routinemäßiges Absaugen der Atemwege grundsätzlich NICHT. Absaugen sollte nur dann durchgeführt werden, wenn es eine klare medizinische Indikation gibt, wie z.B. eine offensichtliche Atemwegsobstruktion oder die Notwendigkeit einer Beatmung. Bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser und einem schlaffen, nicht vitalen Neugeborenen kann ein Absaugen erwogen werden, idealerweise unter Sichtkontrolle. Stattdessen soll bei fehlender oder unzureichender Spontanatmung sofort mit der Beatmung des Neugeborenen begonnen werden. Ein Absaugen ist nur dann indiziert, wenn die Atemwege durch Mekonium verlegt sind und eine effektive Maskenbeatmung nicht möglich ist. Tatsächlich verringert das Absaugen während der Geburt das Risiko von MAS nicht und kann dazu führen, dass das Baby nach Luft schnappt, d. h. tief einatmet. Genau das, was man vermeiden möchte, kann also dadurch erst entstehen. Unabhängig davon ist für jedes Baby, ob mit oder ohne Mekonium, ist Absaugen wahrscheinlich eine sehr unangenehme Erfahrung.
Die physiologische Geburt sorgt sogar selbst für den Abtransport von Schleim und Fruchtwasser (und Mekonium) in den Atemwegen des Babys. Während der Kopf des Babys geboren wird und auf die nächste Wehe wartet, wird der Brustkorb komprimiert, und die Schwerkraft hilft, die Flüssigkeit abzuleiten. Daher haben z.B. Babys, die per Kaiserschnitt geboren werden, häufiger Probleme mit Flüssigkeit in den Atemwegen und im Magen.
Was kann man also tun?
Alle Babys verdienen eine möglichst stressfreie Geburt. Besonders wichtig ist es, dass ein Baby, das Mekonium ausgeschieden hat, während der Wehen und der Geburt nicht gestresst wird, da dies zu MAS führen kann.
- Manuelles Öffnen der Fruchtblase sollte vermieden werden.
- Weheneinleitung, Wehentropf durch synthetisches Oxytocin sollten vermieden werden.
– Eine entspannte Geburtsumgebung mit vertrauten Menschen und geringer Wahrscheinlichkeit von Stress für die Mutter sollte gefördert werden.
– Die Nabelschnur sollte vollständig auspulsiert werden.
- Mutter und Kind sollten nicht getrennt werden, um weiteren Stress zu vermeiden - Haut- zu- Haut Kontakt sollte gefördert werden.
– Routinemäßiges Absaugen der Atemwege sollte unbedingt vermieden werden.
Zusammenfassung
Mekonium an sich ist nicht gefährlich, es sei denn, das Baby inhaliert es. Und genau diese Wahrscheinlichkeit sollte verringert werden. Und viele Dinge, die das tun, stehen in unserer Macht. Uns der Gebärenden, aber auch des Personals.
Bei manchen Babys ist Mekonium ein Zeichen für Hypoxie und es besteht das Risiko einer Mekoniumaspiration. Diese Babys benötigen eventuell zusätzliche Überwachung und gegebenenfalls medizinische Hilfe. Bei den meisten Babys, d. h. bei Babys, die über dem Geburtstermin liegen, ist Mekonium ein Zeichen dafür, dass das Verdauungssystem bereits ausgereift ist und zu funktionieren begonnen hat. In diesen Fällen sollte das Ziel sein, eine Hypoxie während der Wehen und damit eine Mekoniumaspiration zu vermeiden, denn oft können Interventionen, die auf das Feststellen von Mekonium im Fruchtwasser folgen, eher Komplikationen verursachen als das Mekonium selbst.
Hinweise: Dies und andere Informationen in diesem Blog und auf dieser Website dienen nicht der medizinischen Beratung, noch ist dies eine persönliche Betreuung oder Beratung in Gesundheitsfragen. Solche sollten immer durch entsprechende Personen geleistet werden. Die Hinweise dieses Blogs sind kein Ersatz für medizinischen Rat. Im Zweifelsfall befragen Sie bitte Ihre Hebamme, GynäkologIn, Arzt/Ärztin oder ApothekerIn. Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr.
Quellen:
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1751721410001120
https://oce.ovid.com/article/01607876-201310000-00003/HTML
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31588974/
https://cprguidelines.eu/assets/guidelines-translations/NLS_LL_2021.pdf
https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-083k_S3_Vaginale-Geburt-am-Termin_2021-01_1.pdf